Aktuelles

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von Ulrike Böhm-Rößler, Jennifer Wäschle 19 Juli, 2023
BVerfG, Urteil v. 08.02.2023 - 1 BvR 311/22 Kostenerstattung einer Untätigkeitsklage nach Ablauf der Frist eines Leistungsträgers Das BVerfG hat in seinem Urteil vom 08.02.2023 - 1 BvR 311/22 klargestellt, dass eine Untätigkeitsklage des Leistungsempfängers nach Ablauf der Frist auf Seiten des Leistungsträgers ohne nochmalige Erinnerung nicht mutwillig ist. Eine Kostenerstattung des Kläger und damit Leistungsempfängers kommt damit grundsätzlich in Betracht. I. Sachverhalt Mit Bescheid wurden der Beschwerdeführerin Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts nach dem Sozialgesetzbuch II bewilligt. Dabei wurde jedoch ein Einkommen aus Erwerbstätigkeit in einer größeren Höhe als tatsächlich gegeben berücksichtigt. Dagegen legte die Beschwerdeführerin durch ihren Bevollmächtigten Widerspruch ein. Daraufhin erging ein Abhilfebescheid mit dem der Ausgangsbescheid aufgehoben wurde. Das Jobcenter traf hierin zudem eine Kostenentscheidung dahingehend, dass der Beschwerdeführerin die Kosten des Widerspruchsverfahrens auf Antrag erstattet würden, soweit sie notwendig gewesen, nachgewiesen und der Widerspruch erfolgreich gewesen sei. Der Bevollmächtigte der Beschwerdeführerin stellte sodann beim Jobcenter einen Antrag auf Kostenfestsetzung. Als sieben Monate später immer noch kein Kostenfestsetzungsbescheid vom Jobcenter erlassen wurde, erhob die Beschwerdeführerin durch ihren Bevollmächtigten Untätigkeitsklage bei dem zuständigen Sozialgericht mit dem Antrag, das beklagte Jobcenter zu verurteilen, über den gestellten Antrag auf Kostenfestsetzung zu entscheiden. Als Tage später das Jobcenter dann einen Kostenfestsetzungsbescheid über die Erstattung der notwendigen Auslagen für das Widerspruchsverfahren erließ, erklärten die Beschwerdeführerin und das beklagte Jobcenter den Rechtsstreit für erledigt. Die Beschwerdeführerin beantragte, ihr die notwendigen außergerichtlichen Kosten zu erstatten. Diesen Antrag lehnte das Sozialgericht jedoch ab. Gegen diesen Beschluss legte die Beschwerdeführerin Verfassungsbeschwerde wegen Rechtsverletzung aus Art. 3 I GG in seiner Ausprägung als Willkürverbot ein. II. Entscheidung des Sozialgerichts Das Sozialgericht lehnte den Antrag auf Kostenerstattung mit der Begründung ab, dass die Beschwerdeführerin sich nochmals nach Fristablauf an den Leistungsträger hätte wenden müssen, bevor sie eine Untätigkeitsklage einlegen hätte dürfen. Eine Kostenerstattung sei mithin unbillig, trotz zulässiger und begründeter Untätigkeitsklage. Sie widerspräche dem Grundsatz des fairen Verfahrens. Es sei von überwiegender Bedeutung, ob die Beklagtenseite durch ihr Verhalten unter Beachtung der die Klägerseite treffenden Schadensminderungsobliegenheit sowie einer eventuellen Mutwilligkeit, Veranlassung zur Klage gegeben habe. Dies sei vorliegend auf Seiten des Leistungsträgers trotz abgelaufener Frist nicht der Fall. Ein Leistungsempfänger sei bei Untätigkeit eines Leistungsträgers grundsätzlich verpflichtet, sich vor Erhebung einer Untätigkeitsklage nochmals an diesen zu wenden und deutlich zu machen, dass eine Entscheidung über einen Antrag oder Rechtsbehelf noch ausstehe und bei weiterem Ausbleiben einer Entscheidung mit einer Untätigkeitsklage zu rechnen sei. III. Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts Im Gegensatz dazu entschied das Bundesverfassungsgericht, dass die angegriffene Entscheidung die Beschwerdeführerin in ihrem Recht aus Art. 3 I GG in seiner Ausübung als Willkürverbot verletze. Wer die Kosten einer zulässigen und begründeten Untätigkeitsklage zu tragen hat, die sich nach Klageerhebung erledigt, richtet sich nach § 193 SGG. Entschieden wird nach billigem Ermessen aufgrund allgemeiner Grundsätze. Maßgeblich ist bei der Entscheidung der Kosten nach Erledigung der Hauptsache grundsätzlich der Ausgang des Verfahrens auf Grundlage des Sach- und Streitstandes zum Zeitpunkt der Erledigung. Wird die Klage vor Ablauf der Frist erhoben, so ist diese als unzulässig abzuweisen und eine Kostenerstattung kommt nicht in Betracht. Vorliegend war jedoch die Untätigkeitsklage zulässig und begründet. Damit kommt eine Kostenerstattung grundsätzlich in Betracht, wenn die Behörde nicht innerhalb der gesetzlichen Sperr- bzw. Wartefrist über den Antrag entscheidet und kein zureichender Grund für die Verspätung vorlag (Vgl. § 88 Abs. 1 Satz 1 SGG). Diese Frist war hier abgelaufen. Im Gesetz ist keine Pflicht erkennbar, die Behörde nach Ablauf einer Wartefrist auch ohne Anlass auf Erhebung einer Untätigkeitsklage zunächst auf die ausstehende Entscheidung über den Antrag oder Widerspruch aufmerksam zu machen, die Klageerhebung anzukündigen und nachzufragen, ob sie bald entscheide. Eine solche Pflicht ist weder aus dem Wortlaut des § 88 SGG noch dem des § 193 SGG ersichtlich. Die Klägerseite treffe keine Obliegenheit, die Beklagtenseite vor vermeidbaren Schäden zu bewahren. Es liegt kein Verstoß gegen den Grundsatz des Treu und Glauben nach § 242 BGB vor, wenn eine Erhebung der Klage nach Ablauf der Wartefrist erfolgt, da die Untätigkeitsklage sowieso erst nach Ablauf einer sechs- bzw. dreimonatigen Frist zulässig erhoben werden kann. Damit hat der Gesetzgeber selbst geregelt, wie lange die Betroffenen zuwarten müssen. Der Staat muss die gesetzlichen Fristen und etwaige Rechtsfolgen ebenso kennen und beachten wie Bürgerinnen und Bürger. IV. Fazit So wie sich Bürgerinnen und Bürger die Versäumung einer Frist regelmäßig strikt entgegenhalten lassen müssen, darf auch der Staat grundsätzlich nicht darauf vertrauen, von Bürgerinnen und Bürgern auf den Ablauf einer gesetzlichen Frist erneut hingewiesen zu werden und eine außergesetzliche Nachfrist zu erhalten. Dennoch kann sich aus dem Gebot der Rücksichtnahme unter besonderen Umständen eine Pflicht ergeben, die Behörde vor Erhebung einer zulässigen und begründeten Untätigkeitsklage an den Fristablauf zu erinnern. Es ist daher empfehlenswert, einen Anwalt zu Rate zu ziehen, ob ein solch besonderer Umstand in Ihrem speziellen Fall vorliegt oder nicht. Damit sind Sie auf der sicheren Seite und können Ihre nächsten Schritte planen. Zur Beurteilung Ihres Falles stehen wir Ihnen gerne jederzeit zur Verfügung. Jennifer Wäschle Juristische Mitarbeiterin Ulrike Böhm-Rößler Fachanwältin für Medizinrecht Fachanwältin für Arbeitsrecht
von Ulrike Böhm-Rößler, Jennifer Wäschle 14 März, 2023
Es kommt in der Arbeitswelt immer wieder vor, dass Arbeitnehmer ihren bezahlten Jahresurlaub ganz oder teilweise nicht antreten können. Dies kann unterschiedliche Gründe haben. Doch stellt sich dann die Frage, wie lange der Anspruch auf bezahlten Jahresurlaub besteht und wann dieser verjährt. Grundsätzlich muss nach Art. 7 III BUrlG der Urlaub im laufenden Kalenderjahr gewährt und genommen werden. Eine Übertragung auf das nächste Kalenderjahr ist unter bestimmten Voraussetzungen möglich. Doch wann und unter welchen Voraussetzungen verjährt mein Anspruch auf bezahlten Jahresurlaub überhaupt? Zu dieser Frage reichte das Bundesarbeitsgericht ein Vorabentscheidungsersuchen nach Art. 267 AEUV beim Gerichtshof ein. Der EuGH entschied am 22.09.2022, C-120/21, hierüber. 1. Sachverhalt Eine Arbeitnehmerin war vom 01.11.1996 bis zum 31.07.2017 bei einem Arbeitgeber beschäftigt. Nach Beendigung des Arbeitsverhältnisses verlangte diese Arbeitnehmerin von ihrem Arbeitgeber für die von ihr zwischen 2013 und 2017 nicht genommenen 101 Tage bezahlten Jahresurlaubs eine finanzielle Vergütung. Der Arbeitgeber lehnte dies ab. Der von der Arbeitnehmerin erhobenen Klage im ersten Rechtszug wurde teilweise stattgegeben. Ihr wurde damit eine Abgeltung für drei im Jahr 2017 nicht genommene Tage bezahlten Jahresurlaubs gewährt. Für die Jahre 2013 bis 2016 wurde der Anspruch auf Abgeltung des nicht genommenen Jahresurlaubs hingegen abgelehnt. Daraufhin legte die Arbeitnehmerin gegen diese Entscheidung Berufung ein. Das Berufungsgericht entschied, dass die Arbeitnehmerin für den im Zeitraum von 2013 bis 2016 nicht genommenen bezahlten Jahresurlaub Anspruch auf Abgeltung habe. Begründet wurde dies damit, dass der Arbeitgeber nichts dazu beigetragen habe, dass die Arbeitnehmerin ihren Urlaub für diese Jahre zur gebotenen Zeit habe nehmen können. Mithin seien ihre Ansprüche nicht erloschen und auch nicht nach den allgemeinen Verjährungsvorschriften der §§ 194 ff. BGB verjährt. Gegen diese Entscheidung legte der Arbeitgeber Revision beim Bundesarbeitsgericht ein. Auch dieses Gericht vertrat die Auffassung, dass die Ansprüche der Arbeitnehmerin auf den nicht genommenen bezahlten Jahresurlaub nach § 7 III BUrlG nicht erloschen seien, da der Arbeitgeber die Arbeitnehmerin nicht dazu aufgefordert hatte, ihren noch ausstehenden Urlaub zu nehmen. Jedoch wies das Gericht darauf hin, dass der Arbeitgeber eine Einrede der Verjährung nach § 194 BGB erhoben hat. Gemäß §§ 195, 199 BGB verjähren die Ansprüche drei Jahre nach dem Schluss des Jahres, in dem der Anspruch entstanden ist. Das vorlegende Gericht zweifelte jedoch an der Vereinbarkeit der Verjährungsregelung der §§ 194 ff. BGB mit dem in Art. 7 der Richtlinie 2003/88 und in Art. 31 II der Charta verankerten Anspruch. Der Gerichtshof entschied nach Anhörung der Schlussanträge des Generalanwalts am 05.05.2022, dass der Anspruch auf nicht genommenen bezahlten Jahresurlaub nach Ablauf einer Frist von drei Jahren erlischt, wenn der Arbeitgeber den Arbeitnehmer tatsächlich in die Lage versetzt hat, diesen Anspruch wahrzunehmen. -2- 2. Gründe In Art. 31 II GRCh ist das Grundrecht auf bezahlten Jahresurlaub verankert. Damit wird der Zweck verfolgt, die Gesundheit des Arbeitnehmers zu schützen. Der Anspruch auf bezahlten Jahresurlaub darf mithin nur unter besonderen Umständen eingeschränkt werden. Zwar soll mit den Verjährungsregelungen auch der Arbeitgeber geschützt werden, da eine Ansammlung von zu langen Abwesenheitszeiträumen verhindert werden muss. Jedoch unterliegt der Arbeitgeber gewissen Aufforderungs- und Hinweisobliegenheiten, denen er sich nicht entziehen darf. Dazu gehört, dass er seine Arbeitnehmer auf die Verjährungsfristen hinweisen muss und diesen tatsächlich auch die Möglichkeit zur Inanspruchnahme des Urlaubs gewähren muss. Macht er dies nicht, kann der Anspruch auch nicht verjähren. Dies ist auch dahingehend wichtig, da es sonst zu einer unrechtmäßigen Bereicherung des Arbeitgebers führen könnte. Weist der Arbeitgeber seine Arbeitnehmer also darauf hin, dass der Urlaubsanspruch der Verjährung unterliegt und gibt er diesen die Möglichkeit, den Urlaub auch rechtzeitig zu nehmen, beginnt die Frist von drei Jahren mit Schluss des Jahres, in dem dieser Anspruch entstanden ist, §§ 195, 199 BGB. 3. Fazit In nächster Zeit ist Vorsicht geboten bei der Rechtsprechungsänderung hinsichtlich der Urlaubsansprüche. Es wird hier noch sehr viel Rechtsprechung zur Frage der Verjährung geben und auch hinsichtlich der Hinweispflichten des Arbeitgebers. Es ist aktuell höchst umstritten, wie konkret die Hinweispflichten des Arbeitgebers ausgestaltet sein müssen, damit er seiner Mitwirkungsobliegenheit gemäß der EuGH-Rechtsprechung nachkommt. Vielen Arbeitgebern wäre aktuell zu raten, soweit sie den Aufforderungs- und Hinweisobliegenheiten in der Vergangenheit nicht nachgekommen sind, entsprechende Rückstellungen vorzunehmen. Zur beachten ist aber auch die aktuelle BAG-Rechtsprechung 31.01.2023, 9 AZR 456/20. Hier wurde die dreijährige Verjährungsfrist bezüglich der nicht genommenen Urlaubstage festgestellt. In diesem Fall schied der Arbeitnehmer aus dem Arbeitsverhältnis aus. Es ist somit unumgänglich, sowohl für Arbeitgeber als auch für die Arbeitnehmer, sich genau zu informieren, welche Fristen und Verjährungsregelungen auf ihren speziellen Fall Anwendung finden. Auch, welche Versäumnisse in der Vergangenheit vorlagen und wie man diese nun wieder beheben kann. Sind Sie sich unsicher bezüglich Ihrer Ansprüche, dann kontaktieren Sie uns gerne. Wir beraten Sie diesbezüglich umfänglich. Jennifer Wäschle, juristische Mitarbeiterin Ulrike Böhm-Rößler, Rechtsanwältin Fachanwältin für Medizinrecht, Fachanwältin für Arbeitsrecht
von Ulrike Böhm-Rößler 31 Aug., 2022
Aufgrund unserer Spezialisierung im Gesundheitsrecht besteht ein Großteil unserer Mandate aus dem Bereich Arzthaftungsrecht. Immer wieder erhalten wir Anrufe bzw. E-Mails von verunsicherten Patienten, die uns schildern, dass bei einer Behandlung etwas verpfuscht worden sei. Man sei schlecht behandelt worden. Die Beschwerden seien nach der Behandlung schlimmer geworden und, und, und … Man wisse aber nun nicht, ob man gegen ein ganzes Klinikum vorgehen könne und wie man den Fehler findet. Im folgenden Beitrag möchten wir Ihnen gerne unsere Arbeitsweise darlegen, aber auch Hinweise geben, was Sie beachten sollten. 1. Der Verdacht Sie wurden ärztlich behandelt und haben nach einiger Zeit die Vermutung, dass die Behandlung nicht so ganz richtig erfolgte. Sei es, dass die Beschwerden zugenommen haben, dass entgegen den Ausführungen der Ärzte keinerlei Heilung eingetreten ist oder Sie nun an ganz anderen Beschwerden leiden. Ganz wichtig ist, dass Sie ab dem Zeitpunkt, ab dem Sie die Vermutung haben, die Behandlung ist nicht wie gewünscht verlaufen, sich um die Beweissicherung kümmern. Das heißt z.B. bei Verbrennungen, OP-Narben etc., dass diese fotografisch erfasst werden. Man muss aber später auch nachweisen können, unter welchem Datum das Foto aufgenommen worden ist, um beispielsweise in einem Jahre später stattfindenden Prozess dem Richter Bilder der OP-Narbe oder der Verbrennung zu zeigen und so die Dramatik des Falls zu veranschaulichen. Wichtig ist auch, dass Sie ein Gedächtnisprotokoll anfertigen. Für uns Anwälte ist es wichtig, dass wir so viele Informationen wie nur möglich über die stattgefundene Behandlung erhalten. Wir können nur Einsicht in die Behandlungsunterlagen nehmen. Das heißt, wir erlangen nur Kenntnis, welche Behandlungen durchgeführt wurden und welche Medikamente verabreicht wurden. Sie alleine wissen jedoch, was die Ärzte zu Ihnen gesagt haben. Bei uns werden Sie nicht schnell, schnell abgefertigt. Wir vereinbaren im Arzthaftungsrecht immer Termine, in denen ein persönliches Gespräch stattfindet, je nach Ihrem Wunsch telefonisch oder in unseren Kanzleiräumen, denn nur in einem Mandantengespräch kann man die Hintergründe der Behandlung ergründen und auch nur dann kann man Ereignisse rekapitulieren, wie beispielsweise die beiläufige Äußerung eines nachbehandelnden Arztes: Was haben die denn da rumgepfuscht? 2. Behandlungsfehler nachweisen – wie geht das? Wenn man Schadensersatz- und Schmerzensgeldansprüche geltend machen möchte, dann muss man natürlich im Bereich des Arzthaftungsrechts den Nachweis erbringen, dass ein Behandlungsfehler vorliegt, dass ein Schaden eingetreten ist und dass natürlich auch ein Kausalzusammenhang zwischen dem Behandlungsfehler und dem Schaden gegeben ist. Diese Problematik nehmen wir Ihnen ab. Als Patientenanwälte haben wir Erfahrung darin, die Behandlungsunterlagen entsprechend zu sichten. Wir fordern sämtliche Behandlungsunterlagen an, überprüfen diese, ob sich bereits daraus Fehler ersehen lassen. Wir gleichen die Behandlungsunterlagen auch mit den Angaben ab, die Sie uns als Mandant gemacht haben. Ein guter Medizinrechtler verlässt sich nicht alleine auf Äußerungen von Gutachtern, sondern macht sich vorab selbst ein Bild von Fehlern. Aus unserer Erfahrung heraus wissen wir, dass es unabdingbar notwendig ist, sich selbst einen Einblick in die Unterlagen zu verschaffen. Selbstverständlich hat ein Sachverständiger einen ganz anderen Blick auf die erfolgte Behandlung und die möglichen Behandlungsfehler. Darauf verlassen wir uns aber nicht blind. Nachdem wir also den Sachverhalt mit Ihnen abgeklärt haben, die Behandlungsunterlagen eingefordert, eingesehen und überprüft haben, entscheiden wir mit Ihnen über das weitere Vorgehen. 3. Ein Gutachten erstellen lassen – das sind doch immense Kosten? Selbstverständlich sind privat in Auftrag gegebene Gutachten nicht unbedingt günstig. Hier gibt es verschiedenste Möglichkeiten. Wenn Sie gesetzlich krankenversichert sind und die gesetzliche Krankenversicherung die streitgegenständliche Behandlung bezahlt hat, können wir uns mit der Krankenversicherung in Verbindung setzen, um ein Gutachten über den Medizinischen Dienst zu erreichen. Wir stehen in ständigem Kontakt mit den Krankenversicherungen unserer Mandantschaft, um auch in Zusammenarbeit mit der jeweiligen Krankenversicherung den Nachweis führen zu können. Bei privaten Krankenversicherungen besteht die Möglichkeit, eine Stellungnahme der Beratungsärzte einzuholen. Zudem kann man sich sowohl als gesetzlich wie auch als privat versicherter Patient an die Landesärztekammer wenden. Auch hierfür formulieren wir die Behandlungsfehler aus und fertigen die jeweiligen Stellungnahmen für das Gutachtenverfahren an. 4. Das Gutachten ist negativ – was tun? Nicht jeder Behandlungsfehler lässt sich nachweisen, aber auch nicht jede Vermutung eines Behandlungsfehlers bewahrheitet sich als solcher. Wir lassen uns jedoch von negativen Gutachten nicht sogleich entmutigen. Wir konnten schon oft trotz negativer Gutachten einen Behandlungsfehler nachweisen, die Ansprüche unserer Mandantschaft geltend machen und das ganze Verfahren letztlich doch zu einem positiven Ende bringen. Wir können natürlich keine Versprechungen machen, dass wir in jedem Fall einen Behandlungsfehler nachweisen. Was wir Ihnen aber versprechen können und das ist unser absolutes Credo, dass wir uns für Sie einsetzen und nichts unversucht lassen. Was wir auf gar keinen Fall tun, ist, Sie in eine Regulierung bzw. einen Prozess hineinzureden, obwohl das Unterfangen von Anfang an zum Scheitern verurteilt ist. Wir sind so ehrlich und raten Ihnen auch ab, wenn wir keine Chancen auf Erfolg sehen. 5. Der Behandlungsfehler wurde gefunden – wie geht es weiter? Wenn man nun also den Nachweis hat, dass ein Behandlungsfehler vorliegt, dann muss man natürlich auch den Schaden feststellen, den der Mandant erlitten hat und man muss die Kausalität prüfen, inwieweit der Behandlungsfehler zu den Schäden geführt hat. In diesem Bereich ist es äußerst wichtig, einen Anwalt zu kontaktieren, der auf Personenschäden spezialisiert ist. Diese Problematik zeigt sich im Arzthaftungsrecht, aber auch genauso im Verkehrsrecht. Die allgemeine Meinung geht dahin, das Augenmerk auf ein möglichst hohes Schmerzensgeld zu richten. Dieses ist jedoch nur ein Teilaspekt. Es gibt viele weitere Positionen, die es geltend zu machen gilt und die auch das Schmerzensgeld deutlich übersteigen können. In Bezug auf das Schmerzensgeld sind Ihnen bestimmt Begriffe wie „Ausgleichs- und Genugtuungsfunktion“, „Ausgleich für immaterielle Schäden“, d.h. Schäden nicht vermögensrechtlicher Art und auch die „Sühnefunktion“ ein Begriff. Auch hier zeigt sich wieder, dass die Arbeit ganz nah am Sachverhalt und das genaue Nachforschen und zwischen den Zeilen zu lesen wichtig ist. Es muss festgestellt werden, welche Schäden sind eingetreten, welche Dauerschäden sind zu beklagen, welche konkreten Einschränkungen hat der Mandant. All dies muss erfasst werden. Es muss ganz genau recherchiert werden, gibt es Vergleichsurteile, inwiefern kann ich diese Vergleichsurteile heranziehen, muss ich das Schmerzensgeld höher ansetzen, weil das gefundene Urteil schon sehr alt ist oder nicht all die Schäden umfasst, die dem Mandanten entstanden sind oder weil gerade der Fall unseres Mandanten doch anders liegt. Möglicherweise hat der Mandant auch einen sogenannten Erwerbsausfallschaden erlitten. Hier muss ganz genau geprüft werden, welche Ersatzleistungen er erhalten hat und es müssen genaue Berechnungen angestellt werden, wie hoch der Erwerbsausfall tatsächlich war bzw. bei einem Dauerschaden, inwiefern sich auch künftig noch ein Erwerbsausfall zeigen wird. Dieser ist gleichfalls zu fordern. Führten die Einschränkungen, Nachbehandlungen etc. dazu, dass die Haushaltstätigkeit nicht mehr oder nur eingeschränkt ausgeführt werden konnte, dann ist auch ein sogenannter Haushaltsführungsschaden zu berechnen. Dieser kann auch für die Zukunft berechnet werden, sollten Einschränkungen bestehen bleiben. Dann sind natürlich noch sämtliche Unkosten, die der Mandant hatte bzw. noch haben wird, in den sogenannten Mehrbedarfsschaden mit einzubeziehen. Hierunter fallen beispielsweise Fahrtkosten, Zuzahlungen zu Medikamenten, Physiotherapie etc. Wenn man sich also mit den medizinischen Fehlern auseinandergesetzt hat, dann beginnt das Rechenwerk und die oben genannten Punkte Schmerzensgeld, Erwerbsausfall, Haushaltsführungsschaden, Mehrbedarfsschaden sind dann konkret zu berechnen. Aber auch hier darf der Blick des Anwalts nicht enden. Man muss auch ganz genau eruieren, wie sieht es künftig aus? Könnten hier noch Einschränkungen bestehen? Was ist konkret für die Zukunft von der Gegenseite zu fordern? 6. Die Verhandlung Ganz oft bekommen wir E-Mails von Mandanten, die sagen, sie möchten den Arzt gerne verklagen. Man muss jedoch zunächst außergerichtlich versuchen, eine Einigung herbeizuführen. Man tritt hier in Kontakt mit dem Behandler und verlangt die Daten dessen Berufshaftpflichtversicherung. In den seltensten Fällen wird mit dem Behandler direkt verhandelt. Meistens werden die Verhandlungen mit der Berufshaftpflichtversicherung des Arztes bzw. des Klinikums geführt. Es ist nicht immer erforderlich, Klage zu erheben. In vielen Fällen wird auch außergerichtlich eine Einigung erzielt und ein kosten- und zeitintensiver Gerichtsprozess lässt sich vermeiden. Sollte keine Einigung erreicht werden können, müssen wir natürlich die Ansprüche unserer Mandantschaft einklagen. Vor Gericht wird dann meist nochmals ein Sachverständigengutachten eingeholt, da Richter, ebenso wie wir Rechtsanwälte keine Mediziner sind. Um die medizinische Einschätzung nachvollziehen zu können, benötigt der Richter ein Sachverständigengutachten. In vielen Fällen bleibt es dann auch nicht bei einem Gutachten, sei es dass das Gutachten fehlerhaft ist, zu kurz gegriffen ist oder aber man zwar ein positives Gutachten hinsichtlich des Behandlungsfehlers hat, man aber dann bezüglich der eingetretenen Schäden ein weiteres Gutachten braucht. – In all diesen Verfahrensstadien lassen wir Sie selbstverständlich nicht alleine. Wir wissen, wie solche Gutachten zu lesen sind. Wir haben schon diverse Male Gutachter vor Gericht befragt und können Sie vor einem Gerichtstermin, zu dem Sie persönlich erscheinen müssen und befragt werden, ganz konkret vorbereiten, um sodann das bestmögliche Ergebnis für Sie zu erzielen. 7. Warum gerade wir? Ich empfehle unsere Kanzlei, da wir auf der einen Seite auf Medizinrecht spezialisiert sind und auch in diesem Bereich insbesondere durch die Fachanwaltschaft sehr große Erfahrung haben. Darüber hinaus können Sie bei uns für sämtliche sich stellenden Probleme einen spezialisierten Anwalt kontaktieren. Oftmals wird bei Behandlungsfehlern die Frage nach Kostenerstattung bei der Krankenversicherung aufgeworfen. Möglicherweise müssen Rentenanträge gestellt werden. Ging der fehlerhaften Behandlung gar ein Arbeitsunfall voraus, muss auch durchgesetzt werden, dass dieser als solcher anerkannt wird, damit Verletztengeld und Verletztenrente auch gewährt werden. Führt eine lange Arbeitsunfähigkeit zum Verlust des Arbeitsplatzes, können wir Sie im Rahmen eines Kündigungsschutzprozesses unterstützen. Müssen Sie aufgrund Ihrer langen Arbeitsunfähigkeit Leistungen des Jobcenters beziehen, können wir diesbezügliche Bescheide überprüfen. Werden im Rahmen der Anschlussheilbehandlung wichtige Behandlungen nicht von Ihrer gesetzlichen oder privaten Krankenversicherung bezahlt, treten wir auch hier in Verhandlung mit Ihrer Krankenversicherung. Soweit ein Dauerschaden entstanden ist und es Probleme mit der Berufsunfähigkeitsversicherung gibt, können wir dies ebenfalls aufgrund unserer Spezialisierung abdecken. Durch unsere Ausrichtung auf das Schadensrecht, Familie, Arbeit und Gesundheit werden Sie von uns nicht zu anderen Kanzleien geschickt, sollten sich neben dem reinen Behandlungsfehler noch weitere rechtliche Problempunkte ergeben. Haben Sie nun die Vermutung, dass Sie oder ein Angehöriger fehlerhaft behandelt worden sind, kontaktieren Sie uns bitte und vereinbaren Sie einen Termin für ein persönliches Gespräch. Gerne vertreten wir Sie und überprüfen die Behandlung auf mögliche Fehler.
von Ulrike Böhm-Rößler, Rebecca Ende 25 Juli, 2022
BAG, 04.05.2022, 5 AZR 359/21 Immer wieder stellt sich insbesondere im Rahmen von Kündigungsschutzprozessen die Frage, wie viele Überstunden wurden vom Arbeitgeber noch nicht bezahlt und können die tatsächlich abgeleisteten Überstunden auch nachgewiesen werden. Hierzu äußerte sich das BAG im vorliegenden Urteil. Grundsätzlich vereinbaren Arbeitgeber und Arbeitnehmer im Arbeitsvertrag eine bestimmte Anzahl von Arbeitsstunden, die der Arbeitnehmer abzuleisten hat und der Arbeitgeber entsprechend vergütet. Werden diese festgelegten Stundenzahlen überschritten, fallen in der Regel Überstunden an. Die Frage der Vergütung dieser Überstunden führt jedoch immer wieder zu Streitigkeiten. Mit dem aktuellen Urteil des BAG wurde erneut entschieden, dass Arbeitnehmer die von ihnen geleisteten Überstunden auch nachweisen müssen. Dementsprechend trägt der Arbeitnehmer im Überstundenvergütungsprozess die Beweislast, sprich: er muss beweisen, dass Überstunden angefallen sind oder er sich auf Weisung des Arbeitgebers dafür bereitgehalten hat. Darüber hinaus hat der Arbeitnehmer darzulegen, dass der Arbeitgeber ausdrücklich oder stillschweigend die Überstunden angeordnet, geduldet oder diesen nachträglich zugestimmt hat. Sachverhalt: Im genannten Fall ging es um einen Auslieferungsfahrer, der die Vergütung der von ihm erbrachten Überstunden klageweise geltend machte. Die Arbeitszeiterfassung im Unternehmen erfolgte mittels elektronischer Zeitaufzeichnung, wobei jedoch nur der Beginn und das Ende der täglichen Arbeitszeit erfasst wurden. Die Pausenzeiten wurden nicht aufgezeichnet. Zum Ende des Arbeitsverhältnisses wies die Auswertung der Arbeitszeiterfassung für den Kläger einen Überschuss von 346 Stunden auf. Dementsprechend hatte der Arbeitnehmer im Rahmen seiner Klage eine Überstundenvergütung in Höhe von insgesamt € 5.222,67 brutto eingeklagt. Dabei hat er vorgetragen, dass er während seiner Arbeitstage keine Pausen machte konnte, da er sonst die Auslieferungsverträge nicht in dem zeitlich vorgegebenen Rahmen hätte erfüllen können. Gründe: Das im ersten Rechtszug mit der Sache betraute Arbeitsgericht Emden gab dem Kläger recht. Der pauschale Vortrag des Arbeitnehmers sei demnach ausreichend, da die fehlende Arbeitszeiterfassung hinsichtlich der Pausenzeiten eine Beweisvereitelung des Arbeitgebers darstelle und dies zu seinen Lasten gewertet werden müsse. In zweiter Instanz vertrat das LAG Niedersachsen eine andere Auffassung und wies die Klage ab. Dem schloss sich nun das BAG in der Revision des Klägers an. Demnach sei es nicht ausreichend, wenn der Kläger nur pauschal behauptet, er habe aufgrund des Arbeitspensums keine Pausen machen können. Vielmehr wäre diese Aussage durch konkrete Darlegung und Beschreibung des Arbeitsumfangs und der entstandenen Überstunden zu beweisen gewesen. Damit hat das BAG die gefestigte höchstrichterliche Rechtsprechung bestätigt, nachdem diesbezüglich aufgrund einer Entscheidung des EuGH vom 14.05.2019, C.55/18, für kurze Zeit Unklarheit herrschte: Der EuGH hatte nämlich entschieden, dass die Mitgliedsstaaten der EU in Auslegung und Anwendung der Arbeitszeitrichtlinie 2003/88/EG und Art. 31 der Charta der Grundrechte der Europäischen Union ihre Arbeitgeber verpflichten müssen, ein verlässliches und zugängliches Arbeitszeiterfassungssystem einzuführen. Demnach würde diese Darlegungslast im Überstundenvergütungsprozess zu Lasten der Arbeitgeber abgeändert. Nach Argumentation des BAG sei jedoch auch im Hinblick auf die Entscheidung des EuGH nicht von den Grundsätzen der Beweislastverteilung im Überstundenvergütungsprozess abzurücken. Vielmehr stütze der EuGH seine Entscheidung auf die oben genannte Arbeitszeitrichtlinie, in der es sich nicht um Vergütungsfragen von Arbeitnehmern handelt, so dass die unionsrechtlich begründete Pflicht zur Aufzeichnung der Arbeitszeit keine Auswirkungen auf den Überstundenvergütungsprozess nach deutschem Recht habe. Fazit: Aus Sicht der Arbeitgeber stellt diese Entscheidung des BAG eine erfreuliche Entwicklung dar: Hätte das BAG anders entschieden, hätten Arbeitgeber im Überstundenvergütungsprozess schlechtere Karten gehabt und hätten sich womöglich einer ganzen Welle von Klagen entgegenstellen müssen. Arbeitnehmer hätten sich dann pauschal auf geleistete Überstunden berufen und diese Ansprüche vor Gericht geltend machen können. Arbeitnehmer können jedoch auch von diesem Urteil profitieren, da nun die Rechtslage bei Überstunden im Arbeitsverhältnis – insbesondere im Hinblick auf das vorangehende Urteil des EuGH – eindeutig geklärt ist. So ist Arbeitnehmern in Zukunft zu raten, ihre Überstunden und den Grund dafür genau zu dokumentieren und am besten schriftlich festzuhalten. Es können Arbeitnehmer in Zusammenarbeit mit einem Rechtsanwalt bei der künftigen Geltendmachung von Überstunden ganz genau ihrer Darlegungs- und Beweislast nachkommen und sie ihre Ansprüche auf Überstundenabgeltung durchsetzen. Gerne beraten wir Sie als Arbeitnehmer oder Arbeitgeber zu der Problematik rund um die Überstundenvergütung. Dabei unterstützen wir Sie mit unserer Erfahrung und Kompetenz im Bereich des Arbeitsrechts. Wir begleiten Sie auch bei der Geltendmachung Ihrer Ansprüche im Überstundenvergütungsprozess vor Gericht. Vereinbaren Sie gerne einen Beratungstermin mit unserer Kanzlei. Rebecca Ende, wissenschaftliche Mitarbeiterin Ulrike Böhm-Rößler, Rechtsanwältin, Fachanwältin für Medizinrecht und Fachanwältin für Arbeitsrecht
von Ulrike Böhm-Rößler, Susann Seibt 05 Juli, 2022
LAG Thüringen Urt. v. 08.03.2022 – 5 Sa 62/22 Immer, wenn eine Kündigung im Raum steht, ist es wichtig, die Frage zu klären, gibt es einen Betriebsrat bzw. Personalrat, wurde dieser ordnungsgemäß informiert und hat er bzw. wie hat er sich zur Kündigung geäußert. Was gilt jedoch im Rahmen einer Probezeitkündigung? – Ist hier die verweigerte Zustimmung des Personalrats unbeachtlich für die Wirksamkeit der Kündigung und welche Anforderungen sind an den Informationsgehalt der Beweggründe für die Kündigung während der Probezeit zu stellen? Dies war Gegenstand des Berufungsverfahrens vor dem LAG Thüringen. Zum Sachverhalt: Einer Arbeitnehmerin wurde während der vereinbarten Probezeit von sechs Monaten von ihrem Arbeitgeber ordentlich gekündigt. Die Arbeitnehmerin klagte daraufhin vor dem Arbeitsgericht Erfurt auf Feststellung, dass das Arbeitsverhältnis der Parteien durch die Kündigung nicht beendet wurde, da die Kündigung aufgrund der fehlerhaften Anhörung des Betriebsrates nicht wirksam sei. Die Anhörung sei fehlerhaft verlaufen, da die Kündigungsgründe dem Betriebsrat nicht ausreichend begründet dargelegt wurden. Auch habe der Betriebsrat rechtmäßig die Zustimmung zur Kündigung verweigert. Sowohl das Arbeitsgericht Erfurt als auch das Landesarbeitsgericht Thüringen wiesen die Klage der Arbeitnehmerin zurück und stellten somit klar, dass die Kündigung wirksam war. Zur verweigerten Zustimmung: Gesetzlich geregelt im (wortgleichen) bayerischen Gesetz ist, dass die Zustimmung des Betriebsrates als erteilt gilt, wenn sich der Personalrat nicht zur Kündigung äußert. Einer Nichtäußerung gleich steht das Anbringen von Erwägungen, die nicht vom Umfang des Mitwirkungsrechts des Betriebsrats gedeckt sind. Der Umfang des Mitwirkungsrechts des Betriebsrates bei Kündigungen ist in Bayern in Art. 77 BayPVG geregelt und wortgleich mit der im streitgegenständlichen Verfahren maßgeblichen gesetzlichen Regelung des Freistaates Thüringen. Allerdings beschränkt sich die Mitwirkung des Betriebsrates bei einer Kündigung während der Probezeit nur auf solche Gründe, die im Rahmen einer Probezeitkündigung eine Rolle spielen. Da ein Arbeitnehmer während der Probezeit noch nicht den vollen Kündigungsschutz nach dem Kündigungsschutzgesetz genießt, können diese Schutztatbestände nicht über die Mitwirkungsrechte auf die Probezeit vorgezogen werden. Das bedeutet, dass der Betriebsrat, wenn er die Zustimmung nicht aufgrund derartiger Erwägungen versagen darf, die nicht Gegenstand des Kündigungsschutzrechts des sich in der Probezeit befindenden Arbeitnehmers sind, er diese auch nicht über sein Mitwirkungsrecht einführen darf. Vorliegend berief sich der Personalrat auf Einwendungen aus § 1 Abs. 2 Satz 2 Nr. 2 b, Abs. 2 Satz 3 KSchG. Gerade § 1 KSchG ist jedoch gemäß seinem expliziten Wortlaut erst dann anwendbar, wenn ein Arbeitsverhältnis ohne Unterbrechung länger als sechs Monate bestand. Der Betriebsrat kann seine Zustimmung zur Probezeitkündigung folglich nur versagen, wenn er Anhaltspunkte für Rechtsmissbräuchlichkeit, Willkür, Sittenwidrigkeit oder Maßregelungen vorträgt. Zu den Anforderungen an den Informationsgehalt: Eine Probezeitkündigung hingegen, die, wie im vorliegenden Fall, auf einem subjektiven Werturteil beruht, also etwa weil die Arbeitsweise und Arbeitserfolge nicht den Erwartungen entsprechen, bedarf keiner weitergehenden Begründung. Es liegt in der Natur der Probezeit, dass der Arbeitgeber sich frei, also ohne Überprüfung objektiver Maßstäbe, seine Meinung bilden kann, ob ein Arbeitnehmer seinen Vorstellungen entspricht. Den Arbeitgeber trifft nicht die Pflicht, dem Betriebsrat die dem Werturteil zugrundeliegenden Vorfälle mitzuteilen. Es ist demnach ausreichend, wenn der Arbeitgeber allein das Werturteil selbst als das Ergebnis seines Entscheidungsprozesses mitteilt. Fazit: Dieses Urteil zeigt klare Grenzen des Mitwirkungsrechts des Betriebsrats bzw. Personalrats im Rahmen einer Probezeitkündigung auf. Aber auch im Rahmen der Probezeit ist der Arbeitnehmer nicht völlig schutzlos. Man muss nicht jedes Verhalten des Arbeitgebers hinnehmen. Sollten Sie Probleme im Rahmen Ihrer Probezeit haben oder aber im Rahmen der Probezeit eine Kündigung erhalten, stehen wir Ihnen gerne für eine Beratung zur Verfügung. Beachten Sie bitte: Bei Erhalt der Kündigung haben Sie nur drei Wochen Zeit, hiergegen vorzugehen. Susann Seibt, wissenschaftliche Mitarbeiterin Ulrike Böhm-Rößler, Rechtsanwältin, Fachanwältin für Medizinrecht, Fachanwältin für Arbeitsrecht
Rechtsanwältin Ulrike Böhm-Rößler
von Rainer-Michael Rößler 01 Apr., 2022
Die Rechtsanwaltskammer Nürnberg hat unserer Rechtsanwältin Ulrike Böhm-Rößler mit Urkunde vom 26.03.2022 die Befugnis verliehen, die Bezeichnung Fachanwältin für Arbeitsrecht zu führen. Weitere Informationen zum Rechtsgebiet Arbeitsrecht finden Sie auf unserer Seite .
von Ulrike Böhm-Rößler 18 Jan., 2022
Nachdem erst am 18.03.2020, 5 U 196/19, das OLG Oldenburg das LG Aurich dahingehend bestätigte, dass einem minderjährigen Kläger Schmerzensgeld in Höhe von € 800.000 zugesprochen worden ist, wurde nun am 28.06.2021, 1 O 45/15, vom LG Limburg ein Schmerzensgeld in Höhe von € 1 Mio. ausgeurteilt. Zum Fall (Sachverhalt stark gekürzt): Der damals einjährige Kläger wurde wegen obstruktiver Bronchitis, drohender respiratorischer Insuffizienz sowie Verdacht auf Bronchopneumonie und fieberhaften Infekt stationär in ein Klinikum aufgenommen. Es musste u.a. intravenös ein Antibiotikum verabreicht werden. Die zuständige Krankenschwester traf den Kläger zusammen mit seiner Mutter in seinem Krankenzimmer an. Auf dem Nachttisch des Klägers lagen Apfelspalten. Er habe mit seiner Mutter Äpfel und Chips gegessen. Die Mutter teilte der Schwester auch noch mit, endlich könne er wieder Chips essen. Die Schwester erkundigte sich nicht, wann die letzte Nahrungsaufnahme erfolgte. Sie kontrollierte auch nicht, ob sich noch Nahrungsreste im Mund des Klägers befanden, sondern verabreichte das Antibiotikum intravenös und spülte mit Kochsalzlösung nach. Während der Verabreichung des Antibiotikums und der Kochsalzlösung hat der Kläger ununterbrochen geschrien und sich dabei verschluckt. Er begann heftig zu husten und lief blau an. Die Schwester bemerkte dies und nahm ihn hoch, um ihn dann mit nach oben gerichtetem Kopf nach oben und unten zu schütteln. Die Mutter versuchte, dann Nahrungsreste mit dem Finger aus dem Mund des Klägers zu holen. Die Schwester eilte auf den Flur hinaus und kümmerte sich darum, dass ein Reanimationsnotruf abgesetzt wurde. Bei einer später auf der Kinderintensivstation durchgeführten Bronchoskopie wurden dann mehrere Fremdkörper (Apfelstücke und Chipsreste) aus den Bronchien entfernt. Zusammenfassend leidet der Kläger infolge dieses Behandlungsfehlers an einem hypoxischen Hirnschaden und u.a. einer Epilepsie mit hochfrequenten tonisch-klonischen Anfällen, deren Symptome u.a. mit einem Initialschrei, Stöhnen, Bewusstseinsverlust, starren, meist leicht gebeugten Armen und gestreckten Beinen, Apnoespeichelfluss, unrhythmischen Zuckungen oder stoßartiger Atmung einhergehen. Er leidet an einer Intelligenzminderung ohne aktive Sprache, einer Hüftluxation rechts und Problemen an der Wirbelsäule. Beim Füttern leidet er zum Teil unter Ängsten. Er besucht eine Schule für Blinde und Sehbehinderte. Es konnte festgestellt werden, dass der Krankenschwester vorzuwerfen ist, dass sie nicht noch einige Minuten abwartete bevor sie das Antibiotikum verabreichte. Es steht unstreitig fest, dass sogar in den Händen des Klägers sich noch Chips befanden und Apfelspalten auf dessen Nachttisch lagen. Alleine aufgrund dieses Bildes beim Betreten des Zimmers musste sich der Krankenschwester aufdrängen, dass der Kläger Nahrung aufgenommen hat. Dass die Nahrungsaufnahme bei kleinen Kindern etwas länger dauern kann, liegt ebenfalls auf der Hand. Die Krankenschwester hat nicht einmal nachgefragt, wann der Kläger zuletzt etwas gegessen habe. Hierzu hat der Sachverständige ganz klar ausgeführt, dass die Krankenschwester alleine durch Beobachtung des Kindes, gegebenenfalls Nachfragen und Abwarten hätte sicherstellen können und müssen, dass sich keine Speisereste mehr im Mundraum befinden. Es wurden also, was die Aspiration betrifft, keinerlei angemessene Sicherheitsvorkehrungen vonseiten der Beklagten getroffen. Weiter konnte der Sachverständige feststellen, dass das Schütteln des Kindes, nachdem die Aspiration festgestellt wurde, kein geeignetes Rettungsmittel darstellt, sondern sogar kontraproduktiv war. Alleine das Schütteln hat den Fremdkörper im Hals- und Rachenraum des Klägers noch viel tiefer rutschen lassen und damit die Chance für seine Entfernung geschmälert und zugleich den Zeitraum, in dem der Körper des Klägers ohne Sauerstoffversorgung war, verlängert. Eine erfahrene Krankenschwester hätte dies wissen müssen noch dazu erfolgen bei Kinderkrankenschwestern regelmäßige Unterweisungen zum Thema Notfallrettungsmaßnahmen. Auf die eingetretenen unmittelbaren und mittelbaren Gesundheitsschäden des Klägers, wie u.a. reanimationspflichtiger Atemstillstand, hypoxischer Hirnschaden, infantile Cerebral­parese, Epilepsie, Tetraspastik, Hüftluxation, Dysphagie (Schluckstörung), Intelligenzminde­rung ohne aktive Sprache konnten zur Überzeugung des Gerichts festgestellt werden. Völlig unvorstellbar für Eltern ist, dass in diesem Bereich aber auch ein Mitverschulden der Eltern diskutiert wurde, da Chips und Apfelstücke für ein Kind dieses Alters als ungeeignete Nahrung eingestuft wurden. Weiter unverständlich ist die Argumentation der Beklagtenseite. Diese konnte der Tatsache, dass das Verabreichen des Antibiotikums ursächlich für die Verlegung der Atemwege war, nichts entgegensetzen. Man wollte jedoch dahingehend argumentieren, dass die schweren gesundheitlichen Beeinträchtigungen und deren Folgen während des Transports eingetreten seien. Es dauerte selbstverständlich einige Zeit bis der Kläger transportiert wurde und die notwendigen Eingriffe vorgenommen wurden. Dem ist aber entgegenzuhalten, dass der Transport und die in dessen Folge eingetretenen gesundheitlichen Schäden jedenfalls mittelbare Folge der Verlegung der Atemwege sind. Die Verschlimmerung des Gesundheitsschadens während des Transports unterbricht den Zurechnungszusammenhang nicht, sondern ist naturgemäßes Risiko einer so schweren Gesundheitsschädigung. Höchst überraschend an dem Urteil ist jedoch, dass ursprünglich lediglich ein Schmerzensgeld von mindestens € 500.000 gefordert wurde und das Gericht aber ein doppelt so hohes Schmerzensgeld feststellte. Im Arzthaftungsrecht ist es immer üblich, ein Schmerzensgeld mit einer Mindesthöhe zu fordern, um sich eben die Möglichkeit offenzuhalten, dass das Gericht dann einen höheren Betrag zuspricht. Das Schmerzensgeld hat grundsätzlich die Funktion, den Geschädigten für das erlittene körperliche und seelische Leid zu entschädigen. Hierbei sind immer alle Umstände des jeweiligen Einzelfalls, angefangen von der Art der Verletzungshandlung an sich, über deren unmittelbare und mittelbare körperlichen und seelischen Folgen, bis hin zu den Auswirkungen auf die sozialen Beziehungen des Klägers etc. zu berücksichtigen. Weiter sind zu berücksichtigen, das Ausmaß des Verschuldens des Schädigers, seine wirtschaftlichen Verhältnisse, die Auswirkungen eines Strafverfahrens (wie vorliegend ebenfalls erfolgt) und sein Verhalten im Rahmen der Regulierung. Zur Bewertung des Schmerzensgeldes wurde u.a. herangezogen ein Urteil des LG Gießen vom 06.11.2019, Az. 5 U 376/18. Hier wurde ein Schmerzensgeld für einen Hirnschaden nach einer Routine-OP in Höhe von € 800.000 ausgesprochen. Das LG Limburg wich jedoch von diesem Urteil der Höhe nach ab mit der Begründung, im vorliegenden Fall hat der Geschädigte gar nicht mehr die Chance auf eine normale Kindheit und Jugend. Ebenfalls zugesprochen wurde der Feststellungsantrag. Dieser bedeutet, dass die Beklagte auch für zukünftige Schäden weiterhin einstandspflichtig ist. Es wurde dem Landgericht überzeugend dargelegt, dass der Kläger noch immer behandlungsbedürftig ist und man nicht abschätzen könne, wie sich denn sein Gesundheitszustand in Zukunft entwickeln wird. Es haftet aber nicht die Krankenschwester alleine. Neben der Krankenschwester haftet auch noch das Krankenhaus, vertreten durch den Krankenhausträger und auch die diensthabende Ärztin. Deren Haftung begründet sich u.a. aus dem Behandlungsvertrag. Fazit: Wir begrüßen die Erhöhung von Schmerzensgeldern in Urteilen der Land- und Oberlandesgerichte sehr. Insbesondere im Arzthaftungsrecht zeigt sich, dass man hier nicht schematisch vorgehen kann und dass es auch kein case law geben darf. Selbstverständlich müssen zur Orientierung immer wieder vergleichbare Urteile herangezogen werden, wobei aber zu betonen ist, dass man nie eins zu eins denselben Fall haben wird. Dies hat auch das LG Limburg festgestellt, indem es ein Urteil herangezogen hat, das aber den Schaden eines 17-Jährigen beurteilte, der zumindest noch seine Kindheit erleben durfte. Wenn es zu schweren Gesundheitsschäden kommt, sei es durch einen Behandlungsfehler oder aber einen Verkehrsunfall, ist es dringend zu empfehlen, einen spezialisierten Fachanwalt aufzusuchen. Es müssen sämtliche Gesundheitsschäden erfasst werden. Es müssen möglicherweise auch Rücksprachen mit behandelnden Ärzten genommen werden, um den Gesundheitszustand, der auf das jeweils schädigende Ereignis (Behandlungsfehler, Verkehrsunfall) zurückzuführen ist, festzustellen. Dann muss eine ganz genaue Recherche durchgeführt werden, welche Urteile denn hierfür möglicherweise heranzuziehen sind. Es ist dann aber auch eine Einzelfallwertung vorzunehmen und das jeweilige Schmerzensgeld zu fordern. Wir von Rößler Rechtsanwälte PartG mbB sind bereits seit Jahren im Bereich des Personenschadensrechts tätig. Wir haben mehrere vergleichbare Fälle vor Gericht oder auch außergerichtlich schon regulieren können. Wir stehen mit den jeweiligen Haftpflichtversicherungen in Kontakt und setzen uns dafür ein, Ihre Schadensersatz- und Schmerzensgeldansprüche durchzusetzen. Haben auch Sie einen Personenschaden durch Behandlungsfehler oder Verkehrsunfall erlitten, dann kontaktieren Sie uns und wir überprüfen Ihre Möglichkeiten auf einen Ausgleich mittels Schadensersatz und Schmerzensgeld. Ulrike Böhm-Rößler Rechtsanwältin, Fachanwältin für Medizinrecht
von Rainer-Michael Rößler 02 Nov., 2021
Die Rechtsanwaltskammer Nürnberg hat unserem Rechtsanwalt Rainer-Michael Rößler mit Urkunde vom 18.10.2021 die Befugnis verliehen, die Bezeichnung Fachanwalt für Familienrecht zu führen. Weitere Informationen zum Rechtsgebiet Familienrecht finden Sie auf unserer Seite .
von Ulrike Böhm-Rößler, Sandra Wende 04 Okt., 2021
Wenn Sie Patient in einem Krankenhaus/MVZ sind, erscheint es erst einmal völlig logisch, dass Sie auch auf alle dort über Sie gesammelten und gespeicherten Daten jederzeit Zugriff erhalten sollen. Es sind ja schließlich Ihre Daten. Doch ist das wirklich so einfach? – Leider oftmals nicht! Problematisch ist, dass viele Behandler das anders sehen und die gesammelten Behandlungsunterlagen nicht bzw. nicht freiwillig oder nur gegen eine Gebühr herausgeben. Auf die Anfrage nach Behandlungsunterlagen erhalten wir beispielsweise folgende Antworten: - Nein, wir geben grundsätzlich keine Behandlungsunterlagen heraus. - Gerne können wir ein Gutachten erstellen. - Da es sich um viele Unterlagen handelt, müssen wir auch die Arbeitszeit der Angestellten berechnen, die die Unterlagen für sie kopieren. All diese Antworten begegnen uns regelmäßig und werden von uns ebenso regelmäßig zurückgewiesen. Was sind nun Ihre Rechte? 1. Anspruch auf Einsicht in die Patientenakte Dieser Anspruch besteht und ist auch gesetzlich normiert, nämlich in § 630g Abs. 1 BGB. Danach ist Ihnen auf Verlangen unverzüglich Einsicht in die vollständige Patientenakte zu gewähren. Diese Einsichtnahme darf nur dann verweigert werden, wenn erhebliche therapeutische Gründe dagegensprechen oder sonstige erhebliche Rechte Dritter dem entgegenstehen würden. Das bedeutet also, die pauschale Absage, wir geben grundsätzlich keine Patientenunterlagen heraus, ist völlig falsch. Erhebliche therapeutische Gründe, die dagegensprechen würden, könnten beispielsweise bei Unterlagen einer psychotherapeutischen Behandlung angenommen werden, wenn man in Gesprächen sehr dramatische Ereignisse besprochen hat und eine Konfrontation mit diesen gesammelten Unterlagen schlichtweg bei einer labilen Person sogar zu Gesundheitsschäden führen könnte. 2. Muss ich die Behandlungsunterlagen bezahlen? Ja, auch dies ist gesetzlich geregelt, nämlich in § 630g Abs. 2 BGB. Danach muss der Patient dem Behandler die entstandenen Kosten erstatten. Aber was zählt zu den entstandenen Kosten? Der Behandler darf nur Kopierkosten, Versandkosten oder Materialkosten beispielsweise für das Brennen einer CD in Rechnung stellen. Der Behandler darf also den Zeitaufwand, der benötigt wird, um die Unterlagen zusammenzustellen und zu kopieren, nicht berechnen. Stellen Sie sich nun vor, Sie haben einen mehrwöchigen Krankenhausaufenthalt hinter sich. Seitenweise Behandlungsunterlagen, Laborberichte, Pflegedokumentation und Röntgenbilder befinden sich in der Datenbank des Krankenhauses. Jedoch fühlen Sie sich falsch behandelt und sind der Ansicht, es könnte möglicherweise ein Behandlungsfehler begangen worden sein. Was nun? Sie fordern Ihre Behandlungsunterlagen vom Krankenhaus an und werden darauf hingewiesen, dass eine Herausgabe nur gegen Erstattung von Kopierkosten von 0,50 €/Seite möglich ist. Bei umfangreicheren Unterlagen haben Sie so schnell Kosten von € 200 bis € 300 beisammen. Müssen Sie also diese Kosten immer bezahlen? 3. Kostenfreie Übersendung der Behandlungsunterlagen Ein Anspruch auf Herausgabe einer unentgeltlichen Kopie der Behandlungsdokumentation folgt aus Art. 15 Abs. 3 Satz 1 DSGVO, resultiert also aus einer europarechtlichen Verordnung. Dort heißt es: „Die betroffene Person hat (…) ein Recht auf Auskunft über ihre personenbezogenen Daten.“ (…) „Der Verantwortliche stellt eine Kopie der personenbezogenen Daten zur Verfügung.“ Bei einer Patientenakte handelt es sich genau um solche personenbezogenen Daten sowie um Gesundheitsdaten im Sinne des Art. 4 Nrn. 1 und 15 DSGVO. Schon aus dem Wortlaut lässt sich schließen, was eigentlich auch logisch erscheint: Der Patient hat das Recht auf eine Kopie seiner Gesundheitsdaten. Warum aber verweigern dann Krankenhäuser eine Herausgabe bzw. eine kostenfreie Zurverfügungstellung der Behandlungsunterlagen? Dies hängt an der Formulierung des § 630g BGB. Dabei handelt es sich um eine Norm aus dem Bürgerlichen Gesetzbuch, die die Einsichtnahme in die Patientenakte, wie oben formuliert, regelt. Der deutsche Gesetzgeber hat hierzu missverständlich in Absatz 2 formuliert, dass der Patient elektronische Abschriften der Patientenakte verlangen kann. Jedoch hat er die entstandenen Kosten zu erstatten. Daraus schließen viele Krankenhäuser, dass es legitim ist, die Kopierkosten für Patientenakten zu verlangen. Wichtig zu wissen ist, dass die Regelung des § 630 g BGB keinesfalls vorrangig anzuwenden ist. Ihnen steht immer der europarechtliche Anspruch aus Art. 15 Abs. 3 DSGVO zu, der die unentgeltliche Information regelt. Das behandelnde Krankenhaus muss Ihnen eine unentgeltliche Kopie zur Verfügung stellen. Jede weitere Kopie darüber hinaus darf aber dann in Rechnung gestellt werden. Dies gilt aber nur bei einem Herausgabeverlangen des Patienten gegenüber dem Schädiger. Wie kann ich diesen Anspruch nun durchsetzen? Wir sind der Ansicht, jeder Patient sollte ganz einfach Zugang zu seinen Behandlungsunterlagen erhalten, um mögliche Behandlungsfehler geltend machen zu können. In der Realität ist das leider nicht immer so einfach. Wir setzen uns hier für unsere Mandanten ein. Zu dieser speziellen und vielfach unbekannten Norm gibt es noch wenig Rechtsprechung und viel Verwirrung bei Patienten und Krankenhäusern. In einem solchen Fall konnten wir kürzlich ein Urteil zugunsten unserer Mandantin erwirken. Unsere Mandantin hatte ihre Behandlungsunterlagen vom Krankenhaus in Kopie angefordert, um Behandlungsfehler geltend machen zu können. Das Krankenhaus wollte die Unterlagen nur gegen Kopierkosten herausgeben und ließ sich von uns nicht umstimmen. Wir haben für unsere Mandantin Klage erhoben und damit Recht bekommen (AG Regensburg, 7 C 79/21). Die Behandlungsunterlagen mussten uns unentgeltlich überlassen werden. Stehen Sie womöglich vor einem ähnlichen Problem? – Wir stehen Ihnen hierbei mit unserer Erfahrung und langjährigen Kompetenz im Gesundheitsrecht zur Seite. Wir unterstützen Sie sowohl bei der Anforderung von Behandlungsunterlagen, der Überprüfung von Behandlungsunterlagen wie auch bei der Geltendmachung Ihrer Ansprüche aus Behandlungsfehlern. Vereinbaren Sie gerne einen Beratungstermin in unserer spezialisierten Kanzlei. Sandra Wende, wissenschaftliche Mitarbeiterin Ulrike Böhm-Rößler, Rechtsanwältin, Fachanwältin für Medizinrecht
von Ulrike Böhm-Rößler, Sandra Wende 13 Apr., 2021
Was Sie als Angehöriger verlangen können! Ist Ihnen der Schockschaden ein Begriff? Viele haben von dieser Schadensposition noch nicht wirklich etwas gehört. Man bringt den Ausdruck Schockschaden maximal mit schweren Unfallereignissen in Verbindung, also mit einem Ausnahmefall in einer Ausnahmesituation! Aber weit gefehlt. Schockschäden stehen nicht nur Unfallbeteiligten zu. Man kann sie als Angehöriger auch bei Behandlungsfehlern verlangen, so zuletzt entschieden vom BGH mit Urteil 21.05.2019, Az. VI ZR 299/17. Was ist ein Schockschaden? Als sogenannter Schockschaden wird ein Schaden bezeichnet, den man nicht dadurch erleidet, dass man selbst Verletzter eines Schadensereignisses ist, sondern durch das mittelbare oder unmittelbare Miterleben eines Schadensereignisses als Angehöriger. Das können dann Gesundheitsschäden durch seelische Erschütterung, Angststörungen, posttraumatische Belastungsstörungen oder depressive Störungen sein, die durch die Verletzung oder den Tod eines nahen Angehörigen hervorgerufen wurden. Es muss sich hier aber nach ständiger höchstrichterlicher Rechtsprechung um psychische Störungen von Krankheitswert handeln, damit eine Gesundheitsverletzung im Sinne des § 823 Abs. 1 BGB auch angenommen werden kann. Was konnten Angehörige bisher verlangen? Das deutsche Recht beruht prinzipiell auf dem Grundsatz, dass nur der Verletzte selbst Schadensersatz oder Schmerzensgeld geltend machen kann. Und was ist dann mit den Angehörigen? Diese wurden durch die Gerichte im Rahmen der Rechtsprechung zum Schockschaden berücksichtigt. In sehr eng definierten Ausnahmefällen konnten Angehörige ein Schmerzensgeld für Schockschäden geltend machen. Dies galt hauptsächlich für solche, die tödlich ausgehende Verkehrsunfälle ihrer nahen Angehörigen miterleben mussten. Ein solches Schmerzensgeld konnten jedoch nicht nur mittelbar betroffene Angehörige verlangen, genauso wenig wie die, die ihre Angehörigen nicht durch einen Unfall, sondern etwa durch einen Behandlungsfehler verloren haben. Ihnen blieb nur die Möglichkeit, Hinterbliebenengeld gemäß § 844 Abs. 3 BGB einzufordern, das in seinem Umfang jedoch weitaus geringer als ein Schmerzensgeld ausfällt und erst am 22.07.2017 in Kraft trat. Was hat sich durch die neue Rechtsprechung nun geändert? -Schockschaden auch nach schwerer Verletzung durch Behandlungsfehler- Mit seinem Urteil vom 21.05.2019 passte der BGH diese Grundsätze jedoch an und machte klar, dass auch Schmerzensgeldansprüche naher Angehöriger nach einem ärztlichen Behandlungsfehler möglich sind. In dem zugrunde liegenden Fall wurde der Ehefrau eines Mannes ein solches Schmerzensgeld in Höhe von € 100.000 zugebilligt, da sich ihr Mann durch einen Behandlungsfehler im Rahmen einer Darmoperation plötzlich mehrere Wochen in akuter Lebensgefahr befand. Nach Ansicht des BGH konnten auch in diesem Fall die Grundsätze des Schockschadens angewendet werden, auch wenn das haftungsbegründende Ereignis kein Unfallereignis, sondern ein Behandlungsfehler war. Es ließ sich insbesondere kein sachlicher Grund darlegen, weshalb eine psychische Gesundheitsverletzung in einem solchen Fall anders behandelt werden sollte als eine durch ein Unfallereignis verursachte. Folglich weitete der BGH die Schockschaden-Rechtsprechung auch auf Fälle wie diesen aus. Natürlich muss an dieser Stelle differenziert werden. Nicht jeder Behandlungsfehler kann nun ein Schmerzensgeld für Angehörige in Anlehnung an die Schockschaden-Rechtsprechung zur Folge haben. Gut eingänglich ist hierbei der Begriff des „Behandlungsunfalls.“ Dies bezeichnet einen Behandlungsfehler, der so grob gegen jede ärztliche Behandlungsregel verstößt, dass das Ergebnis einem Unfall gleichkommt. Voraussetzungen für einen Schockschaden Wann können Sie nun einen Schockschaden geltend machen? Die Anforderungen an ein Schmerzensgeld für einen Schockschaden sind, auch wenn durch einen Behandlungsfehler verursacht, weiterhin hoch. An erster Stelle steht der Nachweis eines Behandlungsfehlers. Angehörige oder Personen, die demjenigen, der durch den Behandlungsfehler geschädigt worden ist, persönlich nahestanden, müssen tatsächlich nachweisbar erhebliche psychische Beeinträchtigungen erlitten haben, wie etwa posttraumatische Belastungsstörung, Angststörungen oder ähnliche Reaktionen, die über eine normale Trauerreaktion hinausgehen. Ein Schmerzensgeld für einen Schockschaden kann im Einzelfall, wie auch in dem zugrunde liegenden Urteil € 100.000 betragen. Entsprechend hoch sind auch die Hürden. Dennoch stehen Sie als Angehöriger eines durch einen groben Behandlungsfehler Verstorbenen oder Geschädigten nicht ohne jeden Ersatz da. Jede nicht völlig unbedeutende Reaktion auf den Tod eines Angehörigen stellt eine Gesundheitsverletzung dar. Demnach besteht die Möglichkeit zumindest auf ein Hinterbliebenengeld gemäß § 844 Abs. 3 BGB, die man als Angehöriger auch unbedingt nutzen sollte. Der Anspruch auf ein Hinterbliebenengeld setzt gerade nicht eine eigene Verletzung des Angehörigen voraus. Doch wie können Sie nun konkret einen Behandlungsfehler oder womöglich auch ein Schmerzensgeld für Ihre eigenen Beeinträchtigungen geltend machen? Wenn Sie sich unsicher sind, ob an Ihrem Angehörigen ein Behandlungsfehler begangen wurde und auch, ob Ihre eigene Beeinträchtigung die Voraussetzungen eines Schockschadens erfüllt, beraten wir Sie dahingehend gerne in unserer auf Medizin- und Schadensrecht spezialisierten Kanzlei. Lassen Sie die Möglichkeit, diese Schadensposition als Betroffener geltend zu machen, also nicht ungenutzt! Wie Sie sehen, sind die Schadensersatz- und Schmerzensgeldansprüche, die nach einem Behandlungsfehler einzufordern sind, sehr umfangreich und sehr vielschichtig. Damit man hier neben dem Nachweis eines Behandlungsfehlers keinen Cent auf der Strecke lässt, lohnt es sich, möglichst frühzeitig einen Spezialisten zu kontaktieren. Gerne geben wir Ihnen eine Einschätzung zu der Möglichkeit, Ansprüche geltend zu machen. Sandra Wende, Referendarin und juristische Mitarbeiterin Ulrike Böhm-Rößler, Rechtsanwältin, Fachanwältin für Medizinrecht
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