Geburtsschaden bei Hochrisiko-Zwillingsschwangerschaft

OLG Frankfurt, 18.02.2025, 8 U 8/21
Geburtsschaden bei Hochrisiko-Zwillingsschwangerschaft
Das OLG Frankfurt musste sich mit einem Behandlungsfehler aus dem Bereich des Geburtsschadensrechts befassen. Zugrunde lag eine Hochrisiko-Zwillingsschwangerschaft, die sich in einer Geburtsklinik abspielte.
Die Mutter wollte in der Geburtsklinik entbinden. Es war jedoch keine neonatologische Kinderklinik direkt angeschlossen. Der Senat hat festgestellt, dass die fortgesetzte stationäre Betreuung einer Hochrisiko-Zwillingsschwangerschaft in einer Geburtsklinik ohne direkt angeschlossene neonatologische Kinderklinik grob behandlungsfehlerhaft ist. Zur Weigerung der Mutter, Behandlungsempfehlungen zu folgen, wurde ausgeführt, dass dies rechtlich nur dann beachtlich ist, wenn der Arzt sie zuvor umfassend und zutreffend über die medizinische Sachlage und die ihr persönlich und auch ihren Kindern drohenden Gefahren aufgeklärt hat. Hier wurde auch explizit darauf abgestellt, dass diese Ausführung ebenfalls dann gilt, wenn es sich bei der Mutter selbst um eine Fachärztin handelt, denn im Rahmen von Aufklärungsfehlern ist auch immer entsprechend die geistige Reife des Patienten zu beachten und auch entsprechendes Vorwissen, das natürlich bei Patienten, die selbst aus medizinischen Berufen kommen, weitaus anders ist als bei absoluten medizinischen Laien.
Ebenfalls bestätigt wurde, dass vorliegend ein Schmerzensgeld in Höhe von € 720.000 als angemessen angesehen wird. Zugrunde lag die vollständige, unwiderrufliche Zerstörung der Persönlichkeit eines der beiden Neugeborenen. Dieser Zustand stellt bei dem Betroffenen leider einen Dauerzustand dar.
Gerade im Bereich von Geburten haben Schwangere eine konkrete Vorstellung, sei es durch die Gesellschaft oder woher auch immer. Es ist dann die Aufgabe der Ärzte, hier eine entsprechende Aufklärung anhand der medizinischen Gegebenheiten vorzunehmen. Dies völlig unabhängig davon, inwiefern der Patient eine medizinische Vorprägung hat oder nicht, denn im Rahmen der Geburt sind gerade das Leben und die Gesundheit mehrerer Personen betroffen. Für die Schwangere stellt dies eine ganz große Ausnahmesituation dar. Man darf eine solche Behandlung nicht mit der Versorgung von Brüchen o.ä. vergleichen, die man schlicht und ergreifend nüchtern betrachten kann. Dies soll natürlich keine Abwertung von orthopädischen Eingriffen darstellen.
Der vorliegende Fall, den das OLG entscheiden musste, war sehr tragisch, denn die Klinik, in die sich die Klägerin begab, war von vornherein völlig ungeeignet für die gegebene Risikoschwangerschaft. Es wurde von vornherein ein völlig falsches Behandlungskonzept gewählt und auch die Ultraschallbefunde falsch bewertet. Es bestand für einen Fötus akute Lebensgefahr, so dass eine unbedingte Indikation für einen Notfallkaiserschnitt bestand. Man setzte das Standardprocedere fest, anstatt den Notfallkaiserschnitt umgehend in die Wege zu leiten. Auch die werdende Mutter wurde über diese Notlage gar nicht informiert. Sie wurde fälschlich in Sicherheit gewiegt. Diese Fehleinschätzung führte zu einem intrauterinen Fruchttod (IUFT) eines der beiden Föten und infolgedessen zu einer Übertragung toxischen nekrotischen Materials in den Körper des anderen Fötus. Zwar wurde ein Kaiserschnitt durchgeführt, aber viel zu spät, denn die sofortige notfallmäßige Durchführung war nicht möglich, da man erst einen pädiatrischen Kollegen anfordern musste.
Welche Fehler wurden vorliegend begangen?
- Fehlende bzw. ungeeignete Aufklärung der Mutter
- Von Beginn an völlig falsches Behandlungskonzept gewählt
- Diagnoseirrtum bei Auswertung der Ultraschallbefunde
- Diagnoseirrtum hinsichtlich der akuten Lebensgefahr eines Fötus
- Diagnoseirrtum hinsichtlich fehlender Indikationsstellung für den Notkaiserschnitt
Als zweifache Mutter und Fachanwältin für Medizinrecht bin ich mir bewusst, wie groß die Sorge von werdenden Eltern ist. Ich bin mir auch des dringenden Handlungsbedürfnisses bewusst, wenn ein solcher Geburtsschaden entstanden ist. In solchen Fällen muss einerseits äußerst behutsam mit den Mandanten umgegangen werden, andererseits aber auch vehement und ohne jegliches Zögern gegen die Behandler vorgegangen werden, um hier umgehend Vorschusszahlungen zu erreichen, denn wenn ein Geburtsschaden vorliegt, ist das Kind von Beginn an auf spezielle Hilfe angewiesen. Die sich zeigenden Schäden werden mit der Zeit immer größer, denn entgegen der „normalen“ Entwicklung eines Kindes wird dieses gerade nicht mit der Zeit immer selbständiger und erlernt Dinge, sondern bleibt ein Leben lang auf die Hilfe anderer angewiesen. Dies führt zu erheblichen Kosten für Anschaffungen etc., was es umgehend zu klären gilt. Auch müssen natürlich der Schadensersatz und das Schmerzensgeld entsprechend beziffert werden.
Was hat diese Rechtsprechung geändert?
Was die Aufklärungsproblematik angeht, ist ein bereits instruierter oder sonst informierter Kranker nicht mehr explizit aufzuklären. Insbesondere Patienten, die aus eigenen Erfahrungen beruflicher Art oder aus früheren Krankheiten Informationen gewonnen haben, sind nicht mehr entsprechend aufzuklären. Verfügt ein Patient kraft seiner Ausbildung oder beruflichen Tätigkeit über einschlägige Kenntnisse, so kann die Aufklärung sogar ganz entfallen oder in nur vermindertem Umfang erforderlich bleiben (s.v. BGH VersR 1961, 1036). Vorab muss sich der Arzt über das Ausmaß der Vorinformiertheit seines Patienten ein Bild machen, wenn Umstände auf eine solche Vorinformiertheit hindeuten. Es sind natürlich in jedem Fall die Umstände des Einzelfalls zu beachten. Vorliegend war die Patientin medizinisch vorgebildet. Man hat aber hier aufgrund der Besonderheit der Schwangerschaft und der Entbindungssituation keine Abstriche gemacht hinsichtlich des Aufklärungserfordernisses. Das heißt, dass Ärzte, Hebammen und medizinisches Personal im Rahmen der Schwangerschaftsbehandlung und des Geburtsvorgangs immer ein ganz besonderes Augenmerk auf die Aufklärung legen müssen, völlig unabhängig von der medizinischen Vorbildung des Patienten. Somit trägt diese Rechtsprechung den Auswirkungen einer bevorstehenden oder gerade auch laufenden Geburt auf den Gesamtzustand der Schwangeren besondere Rechnung.
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Ulrike Böhm-Rößler
Rechtsanwältin Ulrike Böhm-Rößler ist Fachanwältin für Medizinrecht und Fachanwältin für Arbeitsrecht.
Sie ist im Medizinrecht spezialisiert auf die Vertretung von Patienten und Regulierung von Behandlungsfehlern.
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