Behandlungsfehler: 1 Mio. EUR Schmerzensgeld

Nachdem erst am 18.03.2020, 5 U 196/19, das OLG Oldenburg das LG Aurich dahingehend bestätigte, dass einem minderjährigen Kläger Schmerzensgeld in Höhe von € 800.000 zugesprochen worden ist, wurde nun am 28.06.2021, 1 O 45/15, vom LG Limburg ein Schmerzensgeld in Höhe von € 1 Mio. ausgeurteilt.
Zum Fall (Sachverhalt stark gekürzt):
Der damals einjährige Kläger wurde wegen obstruktiver Bronchitis, drohender respiratorischer Insuffizienz sowie Verdacht auf Bronchopneumonie und fieberhaften Infekt stationär in ein Klinikum aufgenommen. Es musste u.a. intravenös ein Antibiotikum verabreicht werden. Die zuständige Krankenschwester traf den Kläger zusammen mit seiner Mutter in seinem Krankenzimmer an. Auf dem Nachttisch des Klägers lagen Apfelspalten. Er habe mit seiner Mutter Äpfel und Chips gegessen. Die Mutter teilte der Schwester auch noch mit, endlich könne er wieder Chips essen. Die Schwester erkundigte sich nicht, wann die letzte Nahrungsaufnahme erfolgte. Sie kontrollierte auch nicht, ob sich noch Nahrungsreste im Mund des Klägers befanden, sondern verabreichte das Antibiotikum intravenös und spülte mit Kochsalzlösung nach. Während der Verabreichung des Antibiotikums und der Kochsalzlösung hat der Kläger ununterbrochen geschrien und sich dabei verschluckt. Er begann heftig zu husten und lief blau an. Die Schwester bemerkte dies und nahm ihn hoch, um ihn dann mit nach oben gerichtetem Kopf nach oben und unten zu schütteln. Die Mutter versuchte, dann Nahrungsreste mit dem Finger aus dem Mund des Klägers zu holen. Die Schwester eilte auf den Flur hinaus und kümmerte sich darum, dass ein Reanimationsnotruf abgesetzt wurde. Bei einer später auf der Kinderintensivstation durchgeführten Bronchoskopie wurden dann mehrere Fremdkörper (Apfelstücke und Chipsreste) aus den Bronchien entfernt.
Zusammenfassend leidet der Kläger infolge dieses Behandlungsfehlers an einem hypoxischen Hirnschaden und u.a. einer Epilepsie mit hochfrequenten tonisch-klonischen Anfällen, deren Symptome u.a. mit einem Initialschrei, Stöhnen, Bewusstseinsverlust, starren, meist leicht gebeugten Armen und gestreckten Beinen, Apnoespeichelfluss, unrhythmischen Zuckungen oder stoßartiger Atmung einhergehen. Er leidet an einer Intelligenzminderung ohne aktive Sprache, einer Hüftluxation rechts und Problemen an der Wirbelsäule. Beim Füttern leidet er zum Teil unter Ängsten. Er besucht eine Schule für Blinde und Sehbehinderte.
Es konnte festgestellt werden, dass der Krankenschwester vorzuwerfen ist, dass sie nicht noch einige Minuten abwartete bevor sie das Antibiotikum verabreichte. Es steht unstreitig fest, dass sogar in den Händen des Klägers sich noch Chips befanden und Apfelspalten auf dessen Nachttisch lagen. Alleine aufgrund dieses Bildes beim Betreten des Zimmers musste sich der Krankenschwester aufdrängen, dass der Kläger Nahrung aufgenommen hat. Dass die Nahrungsaufnahme bei kleinen Kindern etwas länger dauern kann, liegt ebenfalls auf der Hand. Die Krankenschwester hat nicht einmal nachgefragt, wann der Kläger zuletzt etwas gegessen habe. Hierzu hat der Sachverständige ganz klar ausgeführt, dass die Krankenschwester alleine durch Beobachtung des Kindes, gegebenenfalls Nachfragen und Abwarten hätte sicherstellen können und müssen, dass sich keine Speisereste mehr im Mundraum befinden. Es wurden also, was die Aspiration betrifft, keinerlei angemessene Sicherheitsvorkehrungen vonseiten der Beklagten getroffen.
Weiter konnte der Sachverständige feststellen, dass das Schütteln des Kindes, nachdem die Aspiration festgestellt wurde, kein geeignetes Rettungsmittel darstellt, sondern sogar kontraproduktiv war. Alleine das Schütteln hat den Fremdkörper im Hals- und Rachenraum des Klägers noch viel tiefer rutschen lassen und damit die Chance für seine Entfernung geschmälert und zugleich den Zeitraum, in dem der Körper des Klägers ohne Sauerstoffversorgung war, verlängert. Eine erfahrene Krankenschwester hätte dies wissen müssen noch dazu erfolgen bei Kinderkrankenschwestern regelmäßige Unterweisungen zum Thema Notfallrettungsmaßnahmen.
Auf die eingetretenen unmittelbaren und mittelbaren Gesundheitsschäden des Klägers, wie u.a. reanimationspflichtiger Atemstillstand, hypoxischer Hirnschaden, infantile Cerebralparese, Epilepsie, Tetraspastik, Hüftluxation, Dysphagie (Schluckstörung), Intelligenzminderung ohne aktive Sprache konnten zur Überzeugung des Gerichts festgestellt werden.
Völlig unvorstellbar für Eltern ist, dass in diesem Bereich aber auch ein Mitverschulden der Eltern diskutiert wurde, da Chips und Apfelstücke für ein Kind dieses Alters als ungeeignete Nahrung eingestuft wurden. Weiter unverständlich ist die Argumentation der Beklagtenseite. Diese konnte der Tatsache, dass das Verabreichen des Antibiotikums ursächlich für die Verlegung der Atemwege war, nichts entgegensetzen. Man wollte jedoch dahingehend argumentieren, dass die schweren gesundheitlichen Beeinträchtigungen und deren Folgen während des Transports eingetreten seien. Es dauerte selbstverständlich einige Zeit bis der Kläger transportiert wurde und die notwendigen Eingriffe vorgenommen wurden. Dem ist aber entgegenzuhalten, dass der Transport und die in dessen Folge eingetretenen gesundheitlichen Schäden jedenfalls mittelbare Folge der Verlegung der Atemwege sind. Die Verschlimmerung des Gesundheitsschadens während des Transports unterbricht den Zurechnungszusammenhang nicht, sondern ist naturgemäßes Risiko einer so schweren Gesundheitsschädigung.
Höchst überraschend an dem Urteil ist jedoch, dass ursprünglich lediglich ein Schmerzensgeld von mindestens € 500.000 gefordert wurde und das Gericht aber ein doppelt so hohes Schmerzensgeld feststellte. Im Arzthaftungsrecht ist es immer üblich, ein Schmerzensgeld mit einer Mindesthöhe zu fordern, um sich eben die Möglichkeit offenzuhalten, dass das Gericht dann einen höheren Betrag zuspricht. Das Schmerzensgeld hat grundsätzlich die Funktion, den Geschädigten für das erlittene körperliche und seelische Leid zu entschädigen. Hierbei sind immer alle Umstände des jeweiligen Einzelfalls, angefangen von der Art der Verletzungshandlung an sich, über deren unmittelbare und mittelbare körperlichen und seelischen Folgen, bis hin zu den Auswirkungen auf die sozialen Beziehungen des Klägers etc. zu berücksichtigen. Weiter sind zu berücksichtigen, das Ausmaß des Verschuldens des Schädigers, seine wirtschaftlichen Verhältnisse, die Auswirkungen eines Strafverfahrens (wie vorliegend ebenfalls erfolgt) und sein Verhalten im Rahmen der Regulierung.
Zur Bewertung des Schmerzensgeldes wurde u.a. herangezogen ein Urteil des LG Gießen vom 06.11.2019, Az. 5 U 376/18. Hier wurde ein Schmerzensgeld für einen Hirnschaden nach einer Routine-OP in Höhe von € 800.000 ausgesprochen. Das LG Limburg wich jedoch von diesem Urteil der Höhe nach ab mit der Begründung, im vorliegenden Fall hat der Geschädigte gar nicht mehr die Chance auf eine normale Kindheit und Jugend.
Ebenfalls zugesprochen wurde der Feststellungsantrag. Dieser bedeutet, dass die Beklagte auch für zukünftige Schäden weiterhin einstandspflichtig ist. Es wurde dem Landgericht überzeugend dargelegt, dass der Kläger noch immer behandlungsbedürftig ist und man nicht abschätzen könne, wie sich denn sein Gesundheitszustand in Zukunft entwickeln wird.
Es haftet aber nicht die Krankenschwester alleine. Neben der Krankenschwester haftet auch noch das Krankenhaus, vertreten durch den Krankenhausträger und auch die diensthabende Ärztin. Deren Haftung begründet sich u.a. aus dem Behandlungsvertrag.
Fazit:
Wir begrüßen die Erhöhung von Schmerzensgeldern in Urteilen der Land- und Oberlandesgerichte sehr. Insbesondere im Arzthaftungsrecht zeigt sich, dass man hier nicht schematisch vorgehen kann und dass es auch kein case law geben darf. Selbstverständlich müssen zur Orientierung immer wieder vergleichbare Urteile herangezogen werden, wobei aber zu betonen ist, dass man nie eins zu eins denselben Fall haben wird. Dies hat auch das LG Limburg festgestellt, indem es ein Urteil herangezogen hat, das aber den Schaden eines 17-Jährigen beurteilte, der zumindest noch seine Kindheit erleben durfte. Wenn es zu schweren Gesundheitsschäden kommt, sei es durch einen Behandlungsfehler oder aber einen Verkehrsunfall, ist es dringend zu empfehlen, einen spezialisierten Fachanwalt aufzusuchen. Es müssen sämtliche Gesundheitsschäden erfasst werden. Es müssen möglicherweise auch Rücksprachen mit behandelnden Ärzten genommen werden, um den Gesundheitszustand, der auf das jeweils schädigende Ereignis (Behandlungsfehler, Verkehrsunfall) zurückzuführen ist, festzustellen. Dann muss eine ganz genaue Recherche durchgeführt werden, welche Urteile denn hierfür möglicherweise heranzuziehen sind. Es ist dann aber auch eine Einzelfallwertung vorzunehmen und das jeweilige Schmerzensgeld zu fordern. Wir von Rößler Rechtsanwälte PartG mbB sind bereits seit Jahren im Bereich des Personenschadensrechts tätig. Wir haben mehrere vergleichbare Fälle vor Gericht oder auch außergerichtlich schon regulieren können. Wir stehen mit den jeweiligen Haftpflichtversicherungen in Kontakt und setzen uns dafür ein, Ihre Schadensersatz- und Schmerzensgeldansprüche durchzusetzen.
Haben auch Sie einen Personenschaden durch Behandlungsfehler oder Verkehrsunfall erlitten, dann kontaktieren Sie uns und wir überprüfen Ihre Möglichkeiten auf einen Ausgleich mittels Schadensersatz und Schmerzensgeld.
Ulrike Böhm-Rößler
Rechtsanwältin, Fachanwältin für Medizinrecht
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