Rückständiges Arbeitsentgelt nach angeordneter Kurzarbeit

Rückständiges Arbeitsentgelt nach angeordneter Kurzarbeit einklagen?
Wann darf der Arbeitgeber eine Lohnkürzung vornehmen?
Darf Kurzarbeit einfach so angeordnet werden?
Gerade jetzt in Zeiten von Corona setzen viele Arbeitgeber auf Kurzarbeit. Aufgrund der reduzierten Arbeitszeiten und der dadurch ersparten Kosten sollen auf lange Sicht die Arbeitsplätze erhalten werden.
Viele Arbeitgeber waren schlichtweg von den Konsequenzen des Lockdowns überfahren. Einige durften ihre Betriebe gar nicht mehr öffnen. Wer weiterhin öffnen durfte, musste sich mit den entsprechenden Hygienekonzepten auseinandersetzen. Es wurde versucht, soweit es denn geht, Homeoffice zu ermöglichen und es wurde sehr oft der Rückgriff auf das sogenannte Kurzarbeitergeld genommen.
Bei dem Kurzarbeitergeld ist grundsätzlich klar, wer weniger arbeitet, bekommt dafür auch weniger Geld. Aber darf der Arbeitgeber die ursprünglich vereinbarte Arbeitszeit einfach so kürzen und entsprechend weniger Lohn auszahlen? Probleme ergeben sich, wenn zwar vom Arbeitgeber Kurzarbeit „angeordnet“ wurde, es aber hier an den rechtlichen Grundlagen fehlt. Der Arbeitgeber darf Kurzarbeit nur dann einseitig anordnen, wenn dies individualvertraglich, durch Betriebsvereinbarung oder aufgrund eines einschlägigen Tarifvertrags zulässig ist. Dies ist die erste Hürde, die der Arbeitgeber nehmen muss. Es finden sich dann noch viele weitere Voraussetzungen, die erfüllt sein müssen, auch zur Bezugsdauer und, und, und. Fehlt es aber schon an der Grundlage, hat der Arbeitgeber keine Möglichkeit, Kurzarbeit anzuordnen und die Arbeitsentgelte entsprechend zu kürzen.
Fehlt es also an der Rechtsgrundlage, behalten die Arbeitnehmer ihren vollen Lohnanspruch gegenüber dem Arbeitgeber. Dies entschied zuletzt das Arbeitsgericht Siegburg mit Urteil vom 11.11.2020, Az. 4 Ca 1240/20.
Sachverhalt:
Streitpunkt zwischen den Parteien war die Zahlung des rückständigen Arbeitsentgelts nach angeordneter Kurzarbeit. Der Kläger war als Omnibusfahrer im Unternehmen der Beklagten beschäftigt. Einen Betriebsrat gab es nicht. Dem Kläger wurde vom Arbeitgeber schriftlich mitgeteilt, dass in verschiedenen Bereichen des Betriebs Kurzarbeit angemeldet werden müsse. Dies würde auch den Kläger hinsichtlich einer Woche betreffen. Eine Vereinbarung über Kurzarbeit wurde dabei jedoch nicht geschlossen. Der Kläger bot der Beklagten weiterhin seine Arbeitsleistungen an. Die Beklagte kürzte das Gehalt des Klägers und kennzeichnete den verbliebenen Betrag in der Abrechnung als „Kurzarbeitergeld.“ Hiergegen wehrte sich der Kläger, indem er erfolgreich auf die Zahlung seines vollen Gehalts vor dem Arbeitsgericht klagte.
Gründe:
Nach Ansicht des Arbeitsgerichts hat der Kläger einen Anspruch auf die begehrte Zahlung gemäß seinem Arbeitsvertrag in Verbindung mit §§ 611a Abs. 2, 615 BGB. Kurzarbeit, wie von der Beklagten vorgetragen, war im Betrieb nicht wirksam vereinbart worden. Eine einseitige Anordnung zur Kurzarbeit war somit unzulässig.
Die Rechtsgrundlage für eine einseitige Anordnung von Kurzarbeit müsse sich entweder aus einem Individualvertrag, durch Betriebsvereinbarung oder tarifvertraglich ergeben. Die Beklagte hat mit dem Kläger keine wirksame einzelvertragliche Vereinbarung hinsichtlich der Kurzarbeit geschlossen. Es ist nicht ausreichend, eine „voraussichtliche Kurzarbeit hinsichtlich einiger Tage im März“ in einem Nebensatz anzukündigen. Daraus lässt sich keine Vereinbarung über Kurzarbeit ableiten. Eine Betriebsvereinbarung hinsichtlich der Kurzarbeit scheitert schon daran, dass es in dem Unternehmen der Beklagten keinen Betriebsrat gab. Besteht ein Betriebsrat, so hat dieser gemäß § 87 Abs. 1 Nr. 3 BetrVG ein erzwingbares Mitbestimmungsrecht bei der Einführung der Kurzarbeit. Ebenso wenig gab es eine tarifvertragliche Vorschrift für den Betrieb der Beklagten.
Aufgrund der fehlenden rechtlichen Grundlage besteht kein Anspruch auf Kurzarbeitergeld. Der Arbeitnehmer behält also seinen vollen Lohnanspruch aufgrund des Annahmeverzugs seines Arbeitgebers.
Fazit:
Mit dieser Entscheidung stellt das Arbeitsgericht nochmals klar, dass der Arbeitgeber nur dann einseitig Kurzarbeit anordnen darf, wenn dies auch individualvertraglich durch Betriebsvereinbarung und/oder tarifvertraglich geregelt ist. Fehlt dies, besteht keine Möglichkeit des Arbeitgebers, einseitig Kurzarbeit anzuordnen. Dafür bleiben die vollen Arbeitsentgeltansprüche der Arbeitnehmer bestehen.
Bedeutet dies nun, dass Arbeitgeber in Fällen, in denen vergessen wurde, eine individualvertragliche Regelung zu treffen bzw. es keine Betriebsvereinbarung oder tarifvertragliche Regelung gibt, keine Kurzarbeit anordnen dürfen? – Nein, die vorstehenden Regelungen helfen dem Arbeitgeber nur, einseitig Kurzarbeit anzuordnen. Der Arbeitgeber hat dennoch die Möglichkeit, auf Kurzarbeit zurückzugreifen. Er muss dann aber mit seinen Beschäftigten jeweils eine Vereinbarung diesbezüglich abschließen. Da es sich hier um eine individuelle Vereinbarung zwischen dem Arbeitgeber und dem jeweiligen Arbeitnehmer handelt, müssen auch beide Parteien dem zustimmen. Weiter muss diese Vereinbarung sich an einige Voraussetzungen halten. So müssen Beginn und Ende der Kurzarbeit ausdrücklich festgelegt werden und die Vertragsparteien müssen eine Übereinkunft treffen, welche Form von Kurzarbeit sie einführen wollen.
Wurde in Ihrem Betrieb auch einseitig von Ihrem Arbeitgeber Kurzarbeit angeordnet, ohne dass Sie dies in Tarifverträgen, Betriebsvereinbarungen oder aber Ihrem Arbeitsvertrag geregelt haben?
Wollen Sie als Arbeitgeber Kurzarbeit in Ihrem Betrieb einführen und möchten aber nicht riskieren, den vollen Lohn für weniger Arbeit bezahlen zu müssen, dann kontaktieren Sie uns gerne. Wir unterstützen Arbeitgeber bei der Erstellung vertraglicher Regelungen zur Kurzarbeit. Wir unterstützen Sie bei der Beantragung von Kurzarbeitergeld bei der Bundesagentur für Arbeit und wir stehen Arbeitnehmern zur Seite, wenn es zu einer ungerechtfertigten Lohnkürzung gekommen ist und fordern rückständigen Lohn bei Ihrem Arbeitgeber ein.
Verena Heimgärtner, studentische Mitarbeiterin
Ulrike Böhm-Rößler, Rechtsanwältin, Fachanwältin für Medizinrecht
Aktuelles







