Schockschäden bei Behandlungsfehlern - eine unterschätzte Schadensposition

Was Sie als Angehöriger verlangen können!
Ist Ihnen der Schockschaden ein Begriff? Viele haben von dieser Schadensposition noch nicht wirklich etwas gehört. Man bringt den Ausdruck Schockschaden maximal mit schweren Unfallereignissen in Verbindung, also mit einem Ausnahmefall in einer Ausnahmesituation! Aber weit gefehlt. Schockschäden stehen nicht nur Unfallbeteiligten zu. Man kann sie als Angehöriger auch bei Behandlungsfehlern verlangen, so zuletzt entschieden vom BGH mit Urteil 21.05.2019, Az. VI ZR 299/17.
Was ist ein Schockschaden?
Als sogenannter Schockschaden wird ein Schaden bezeichnet, den man nicht dadurch erleidet, dass man selbst Verletzter eines Schadensereignisses ist, sondern durch das mittelbare oder unmittelbare Miterleben eines Schadensereignisses als Angehöriger. Das können dann Gesundheitsschäden durch seelische Erschütterung, Angststörungen, posttraumatische Belastungsstörungen oder depressive Störungen sein, die durch die Verletzung oder den Tod eines nahen Angehörigen hervorgerufen wurden. Es muss sich hier aber nach ständiger höchstrichterlicher Rechtsprechung um psychische Störungen von Krankheitswert handeln, damit eine Gesundheitsverletzung im Sinne des § 823 Abs. 1 BGB auch angenommen werden kann.
Was konnten Angehörige bisher verlangen?
Das deutsche Recht beruht prinzipiell auf dem Grundsatz, dass nur der Verletzte selbst Schadensersatz oder Schmerzensgeld geltend machen kann. Und was ist dann mit den Angehörigen? Diese wurden durch die Gerichte im Rahmen der Rechtsprechung zum Schockschaden berücksichtigt. In sehr eng definierten Ausnahmefällen konnten Angehörige ein Schmerzensgeld für Schockschäden geltend machen. Dies galt hauptsächlich für solche, die tödlich ausgehende Verkehrsunfälle ihrer nahen Angehörigen miterleben mussten. Ein solches Schmerzensgeld konnten jedoch nicht nur mittelbar betroffene Angehörige verlangen, genauso wenig wie die, die ihre Angehörigen nicht durch einen Unfall, sondern etwa durch einen Behandlungsfehler verloren haben. Ihnen blieb nur die Möglichkeit, Hinterbliebenengeld gemäß § 844 Abs. 3 BGB einzufordern, das in seinem Umfang jedoch weitaus geringer als ein Schmerzensgeld ausfällt und erst am 22.07.2017 in Kraft trat.
Was hat sich durch die neue Rechtsprechung nun geändert?
-Schockschaden auch nach schwerer Verletzung durch Behandlungsfehler-
Mit seinem Urteil vom 21.05.2019 passte der BGH diese Grundsätze jedoch an und machte klar, dass auch Schmerzensgeldansprüche naher Angehöriger nach einem ärztlichen Behandlungsfehler möglich sind.
In dem zugrunde liegenden Fall wurde der Ehefrau eines Mannes ein solches Schmerzensgeld in Höhe von € 100.000 zugebilligt, da sich ihr Mann durch einen Behandlungsfehler im Rahmen einer Darmoperation plötzlich mehrere Wochen in akuter Lebensgefahr befand. Nach Ansicht des BGH konnten auch in diesem Fall die Grundsätze des Schockschadens angewendet werden, auch wenn das haftungsbegründende Ereignis kein Unfallereignis, sondern ein Behandlungsfehler war. Es ließ sich insbesondere kein sachlicher Grund darlegen, weshalb eine psychische Gesundheitsverletzung in einem solchen Fall anders behandelt werden sollte als eine durch ein Unfallereignis verursachte. Folglich weitete der BGH die Schockschaden-Rechtsprechung auch auf Fälle wie diesen aus.
Natürlich muss an dieser Stelle differenziert werden. Nicht jeder Behandlungsfehler kann nun ein Schmerzensgeld für Angehörige in Anlehnung an die Schockschaden-Rechtsprechung zur Folge haben. Gut eingänglich ist hierbei der Begriff des „Behandlungsunfalls.“ Dies bezeichnet einen Behandlungsfehler, der so grob gegen jede ärztliche Behandlungsregel verstößt, dass das Ergebnis einem Unfall gleichkommt.
Voraussetzungen für einen Schockschaden
Wann können Sie nun einen Schockschaden geltend machen? Die Anforderungen an ein Schmerzensgeld für einen Schockschaden sind, auch wenn durch einen Behandlungsfehler verursacht, weiterhin hoch. An erster Stelle steht der Nachweis eines Behandlungsfehlers.
Angehörige oder Personen, die demjenigen, der durch den Behandlungsfehler geschädigt worden ist, persönlich nahestanden, müssen tatsächlich nachweisbar erhebliche psychische Beeinträchtigungen erlitten haben, wie etwa posttraumatische Belastungsstörung, Angststörungen oder ähnliche Reaktionen, die über eine normale Trauerreaktion hinausgehen. Ein Schmerzensgeld für einen Schockschaden kann im Einzelfall, wie auch in dem zugrunde liegenden Urteil € 100.000 betragen. Entsprechend hoch sind auch die Hürden. Dennoch stehen Sie als Angehöriger eines durch einen groben Behandlungsfehler Verstorbenen oder Geschädigten nicht ohne jeden Ersatz da. Jede nicht völlig unbedeutende Reaktion auf den Tod eines Angehörigen stellt eine Gesundheitsverletzung dar. Demnach besteht die Möglichkeit zumindest auf ein Hinterbliebenengeld gemäß § 844 Abs. 3 BGB, die man als Angehöriger auch unbedingt nutzen sollte. Der Anspruch auf ein Hinterbliebenengeld setzt gerade nicht eine eigene Verletzung des Angehörigen voraus.
Doch wie können Sie nun konkret einen Behandlungsfehler oder womöglich auch ein Schmerzensgeld für Ihre eigenen Beeinträchtigungen geltend machen?
Wenn Sie sich unsicher sind, ob an Ihrem Angehörigen ein Behandlungsfehler begangen wurde und auch, ob Ihre eigene Beeinträchtigung die Voraussetzungen eines Schockschadens erfüllt, beraten wir Sie dahingehend gerne in unserer auf Medizin- und Schadensrecht spezialisierten Kanzlei. Lassen Sie die Möglichkeit, diese Schadensposition als Betroffener geltend zu machen, also nicht ungenutzt!
Wie Sie sehen, sind die Schadensersatz- und Schmerzensgeldansprüche, die nach einem Behandlungsfehler einzufordern sind, sehr umfangreich und sehr vielschichtig. Damit man hier neben dem Nachweis eines Behandlungsfehlers keinen Cent auf der Strecke lässt, lohnt es sich, möglichst frühzeitig einen Spezialisten zu kontaktieren. Gerne geben wir Ihnen eine Einschätzung zu der Möglichkeit, Ansprüche geltend zu machen.
Sandra Wende, Referendarin und juristische Mitarbeiterin
Ulrike Böhm-Rößler, Rechtsanwältin, Fachanwältin für Medizinrecht
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